Tanja Elmiger, Teamleiterin in sozialen und sozialmed. Institutionen
Immer mehr junge Menschen streben eine gymnasiale Matura an. Die Gründe dafür sind nicht immer nachvollziehbar. Bei der Ausrichtung auf den akademischen Weg wird oft vergessen: Die duale Berufsbildung, also die Ausbildung, die parallel in Betrieb und Schule erfolgt, ist alles andere als Bildung zweiter Klasse. Sie erleichtert den Einstieg in die Berufswelt und eröffnet Möglichkeiten zur Weiterentwicklung während der ganzen professionellen Karriere. Damit bildet sie eine entscheidende Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und ist ein wichtiger Baustein für die Chancengleichheit.
Durchlässigkeit: kein Abschluss ohne Anschluss
Wer eine berufliche Grundbildung abschliesst (Eidgenössisches Berufsattest EBA oder Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis EFZ), weist die nötigen Fähigkeiten für den erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben aus. Doch der Lehrabschluss eröffnet auch interessante Möglichkeiten für die weitere Qualifizierung: EBA und EFZ berechtigen zu einer verkürzten weiteren Grundbildung oder zur höheren Berufsbildung wie Berufsprüfung (eidg. Fachausweis), Höhere Fachprüfung (eidg. Diplom) und Höhere Fachschule (Diplom HF). Die duale Ausbildung macht auch berufsbegleitende Studien und Abschlüsse möglich, beispielsweise Nachdiplomausbildungen HF und Certificate of Advanced Studies (CAS), Diploma of Advanced Studies (DAS) und Master of Advanced Studies (MAS) an Fachhochschulen und Universitäten. Ambitionierte Lernende in der Grundbildung absolvieren neben der Berufsfachschule oder nach dem Lehrabschluss die Berufsmaturitätsschule, die zum Studium an einer Fachhochschule berechtigt. Und wer im Laufe seiner Aus- und Weiterbildung noch mehr Freude am Lernen entwickelt, kann die gymnasiale Matura nachholen und an einer Universität studieren. Mit anderen Worten: Unser Bildungssystem eröffnet heute die einzigartige Möglichkeit, auf der Basis eines Lehrabschlusses mit gezielter Weiterbildung und anschliessendem Studium bis zum Doktortitel zu gelangen.
Der duale Weg: Praxisbezug als Trumpf im Ärmel
Wer auf dem rein schulischen Weg eine höhere Ausbildung durchläuft, hat mit der fehlenden Praxiserfahrung zu kämpfen. In dieser Hinsicht hat der duale Weg mit Berufslehre und berufsbegleitender Weiterbildung einen grossen Vorteil: Während akademische Studien den Schwerpunkt auf Theorie, Forschung und Lehre legen, richtet sich der duale Weg konsequent auf die Kompetenzen aus, die in Firmen, Institutionen und Organisationen gefragt sind.
Arbeitgebende aller Branchen schätzen den Praxisbezug dualer Bildungskarrieren. Die Abschlüsse stehen nicht nur für intellektuelles Potenzial, sondern sind auch ein Beweis für Leistungswillen, Durchhaltevermögen, die Fähigkeit, sich auf Wichtiges zu fokussieren und im entscheidenden Moment unbedingtes Engagement zu zeigen. Aus diesem Grund wurde das Prinzip «kein Abschluss ohne Anschluss» in dieser Branche schon sehr früh konsequent umgesetzt.
Anerkennung und Aufwertung der höheren Berufsbildung
Auch der Bund ist daran interessiert, den Stellenwert des dualen Bildungswegs zu halten und zu verbessern. Nach der eidgenössischen Anerkennung der verschiedenen Diplome folgte als weiterer Schritt das neue subjektorientierte Finanzierungssystem: Während akademische Studien schon immer von der Öffentlichkeit getragen wurden (die bescheidenen Semestergebühren decken nur einen Bruchteil der Kosten), waren berufsorientierte Weiterbildungskurse und Abschlüsse für die Teilnehmenden immer eine teure Angelegenheit. Seit 2018 erstattet nun der Bund Personen, die einen vorbereitenden Kurs für eine eidgenössische Berufs- oder Höhere Fachprüfung besucht und eine eidgenössische Prüfung absolviert haben, die Hälfte der Kursgebühren – und das unabhängig vom Prüfungserfolg. Die Obergrenze des Bundesbeitrags liegt für eidgenössische Berufsprüfungen bei 9500 Franken, für Höhere Fachprüfungen bei 10 500 Franken. Das duale Berufsbildungssystem wird also weiterhin gefördert, es bleibt attraktiv und zukunftsorientiert. Eine Frage ist noch offen: Wie nahtlos es ins Bologna-System integriert werden kann – und ob aus dem HF-Diplomierten schon bald ein international anerkannter «Professional Bachelor» wird.