Vera Eschmann, Fachfrau Betreuung, Fachrichtung Kinderbetreuung
Sozialer Startschuss in Schleitheim
«Ich hatte eigentlich immer einen guten Zugang zu Menschen und spürte schon früh, dass mir Vertrauen entgegengebracht wird. Durch meine Empathie kann ich mich gut in mein Gegenüber einfühlen», bestätigt Susanne Stamm. Ihren Berufsweg startete sie als medizinische Praxisassistentin, bildete sich im medizinischen Bereich laufend weiter, wie auch in Methoden der Körperarbeit oder in Rhetorik und Mediation.
Susanne Stamm ist ein Familienmensch durch und durch. Die Mutter dreier erwachsener Töchter liebt Wanderungen mit ihrer Labradorhündin und bewirtschaftet mit ihrem Mann einen Landwirtschaftsbetrieb in ihrem Wohnort Schleitheim. «Vor 14 Jahren bin ich Gemeinderätin geworden und seither zuständig für den Sozialbereich. Dieser umfasst Sozialhilfe, Beistandschaften, Asylwesen, Altersheim und Spitex», sagt sie. «Seither erlebe ich hautnah, was es heisst, Menschen in sehr unterschiedlichen Situationen kennenzulernen und diese ein Stück auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Soziale Themen wurden immer wichtiger und interessanter für mich. Oft spürte ich jedoch, dass mir die Professionalität fehlt, einen Menschen zu ‹lesen›, adäquat zu handeln und vor allem auch für mich den gesunden Abstand zur Situation zu finden», fasst sie weiter zusammen. Ab Herbst 2018 besuchte sie daraufhin die Schule für Sozialbegleitung in Zürich und absolvierte den dreijährigen Lehrgang zur Sozialbegleiterin. Die Ausbildung habe sie neu gefordert, vor allem das Schreiben der Abschlussarbeit, als sie ihre Begleitungsarbeit dokumentieren musste. «Stolz bin ich darauf, dass ich professioneller mit Problemen und Lösungen umgehe. Gleichzeitig hat sich auch der Umgang mit meinen Mitmenschen und meinen Klient/innen verändert. Das hat mich persönlich sehr weitergebracht», erzählt Susanne Stamm.
Türöffner Ressourcenarbeit
Im Kompetenzzentrum Schönbühl besucht Susanne Stamm regelmässig Bewohner/innen. Sei es, weil sie keine Angehörigen haben, einsam sind, am Todesfall des Partners oder an einer Krankheit leiden. In den Gesprächen versucht sie, die Bedürfnisse zu verstehen und die nötige Unterstützung zu geben.
«Wichtig ist mir die Ressourcenarbeit. Es gibt Bewohner/innen, die nur noch das sehen, was sie nicht mehr können. Die Umstellung vom gewohnten Daheim in die Institution ist anfangs schwer. Viele haben Mühe, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Das kann ein Gefühl des Wertverlusts oder gar eine Krise auslösen. Hier versuche ich, wieder Sicherheit zu vermitteln. Wenn ich dann ein Lächeln in ihrem Gesicht wahrnehme,
berührt mich das sehr. Mein Ziel ist es, dass ich die Psyche und das Wohlbefinden der Bewohner/innen stärken kann.»
Diesbezüglich blickt Susanne Stamm auf viele hilfreiche Erfahrungen. «Dass ich die Personen in ihren Zimmern besuchen darf, ist eine grosse Wertschätzung mir gegenüber. Ich betrete ihr ‹Daheim›. Das Zimmer erzählt mir viel über die Bewohner/in. Oft komme ich über Bilder an den Wänden, Magazine oder Bücher auf dem Tisch, Kleidung oder Möbel den Bewohner/innen ein Stück näher. Viele wertvolle Gespräche entstehen über die Einrichtung im Zimmer. Da werden Hobbies sichtbar oder andere Leidenschaften. Gespräche über Familienmitglieder entstehen über aufgestellte Bilder und Fotos. So fängt bereits die wertvolle
Biografiearbeit an», erzählt sie. Ihr fällt ein Beispiel aus der Pandemie-Zeit ein: «Eine Bewohnerin ist begeisterte Hobbyschneiderin und wollte sich nützlich machen. Sie war überglücklich, als ich ihr ein Schnittmuster für eine Hygienemaske zustellte. Sie hat dann angefangen Stoffmasken zu nähen.»
Veränderte Familiensysteme
Was sich Susanne Stamm in Bezug auf den Beruf der Sozialbegleiter/in wünsche? Die Antwort kommt rasch: «Dieser noch relativ ‹neue Beruf› erhält auf dem Arbeitsmarkt noch zu wenig Aufmerksamkeit. Dabei ist die niederschwellige Begleitung in der Lebenswelt der Klienten sehr wertvoll und nachhaltig. Gerade im Altersbereich: Die demografische Entwicklung zeigt deutlich, dass es künftig immer mehr alte Menschen geben wird, auch dank unseres guten Gesundheitssystems.»
Sie verweist auf eine weitere Herausforderung: «Mit dem Älterwerden steigt die Anzahl der Personen, die eine Demenz oder Mehrfacherkrankungen entwickeln. Das kann eine grosse Belastung für die Angehörigen bedeuten. Unsere Familiensysteme haben sich sehr verändert. Es gibt kaum mehr Grossfamilien, wo sich Familienmitglieder um die Älteren kümmern. Es wird also auch vermehrt einsame Menschen geben», sagt sie und ergänzt: «Alte Menschen müssen oft schwierige Entscheidungen treffen, die ihr Leben total auf den Kopf stellen: Der Verlust des Partners, des Daheims, der Autonomie oder Selbstbestimmung. Eine
niederschwellige und unbürokratische Begleitung hilft, diese Sorgen und Ängste aufzufangen. Hier kann ein/e Sozialbegleiter/in den betreuten Personen wertvolle Unterstützung vermitteln und sie begleiten. Ich empfinde das als sehr sinnvolle und schöne Aufgabe.»